Die Entstehung unseres Selbstbildes

Die Frage die uns interessiert: Ist unser Bewusstsein, unser Ich bzw. der Dirigent auch „nur“ ein neuronales Muster? Schließlich deuten die Ergebnisse der Wissenschaft immer mehr darauf hin, dass unser Bewusstsein Teil der physikalischen Welt ist und lässt keinen Platz für alte Glaubenssätze. Eine dualistische Sichtweise, nämlich dass der Mensch sein Bewusstsein aus einer „Seele“ bezieht, die nicht materiell ist, gerät immer mehr ins Schwanken. Seele ausgeschlossen? Nein! Nach heutigem Kenntnisstand unwahrscheinlich? Ja! Betrachten wir unser „Ich“ etwas genauer.
Wir haben ja bereits erfahren, zu was unsere Nervenzellen in der Lage sind. So war es bereits im Jahre 2002 dem US-Wissenschaftler Sanjiv Talwar möglich eine Ratte zu steuern (Wie wir wissen, ist auch das menschliche Gehirn mit dem gleichen Signalverkehr ausgestattet). Das hört sich ganz schön nach Science Fiction an, aber es stimmt! Bestimmte Hirnareale der Ratte wurden mit Elektroden gekoppelt, sodass den Nervenzellen des Nagers leichte Stromstöße verpasst werden konnten. Nun ist es bekannt, dass sich Ratten mit ihren Schnurrhaaren orientieren. Das nutzten die Forscher, indem sie, durch leichte Stromstöße, die Ratte glauben ließen, sie stoße entweder links oder rechts an ein Hindernis. Änderte die Ratte nun den Grad zum Hindernis, wurden weitere Stromstöße in die Belohnungszentren geschickt. Das merkte sich die Ratte und machte „bereitwillig“ bei den Experimenten der Forscher mit, ließ sich gar bis zu einer Entfernung von 500 Metern lenken. Haben die Forscher die Position des Dirigenten eingenommen? Zurück zum Thema! [1]
In dem Buch „Der Ego-Tunnel“ bezeichnet der Mainzer Philosoph Thomas Metzinger das Ich-Gefühl als Modell, welches vom Gehirn erzeugt wird. Dieses „Ich“ existiert jedoch nicht als Ding: Wie beispielsweise eine Seele, eine Anlaufstelle, die unabhängig von dem Gehirn bewusste Entscheidungen trifft. Eher ist es der Inhalt eines Ereignisses eines Vorgangs, der sich im Laufe der Evolution entwickelt hat. Von einem Lebewesen, welches anfing sich durch einen Körper getrennt von seiner Umwelt wahrzunehmen, bis hin zu dem Menschen, der rational denken kann.
Wenn Ich das richtig verstehe gibt es also kein „Ich“ und irgendwie auch schon. Wir haben schließlich das Gefühl, dass wir durch ein Fenster, die Augen, aus unserem Kopf hinausschauen. Wir: als Stimme oder Männchen im Kopf. Ich fasse zusammen: Über die 5 Sinne wird die Umgebung wahrgenommen und vom Gehirn zu einem Gesamteindruck konvertiert. Dass wir uns in einer Simulation befinden, nehmen wir allerdings nicht wahr! Wie auch? Wir selbst sind die Simulation.
Diese „Simulation“ ist zwar unsere Realität, muss jedoch keineswegs die Wahrheit sein! Unser Zugang zur Welt kann demnach immer „nur“ menschlich sein, da wir nur mit unserem menschlichen Gehirn, unserem Erkenntnisapparat, unseren „Werkzeugen“ die Welt und unser Innenleben wahrnehmen können. Tiere besitzen beispielsweise einen anderen Zugang und haben damit auch einen andern Blick auf die Welt. Das kann das Farbspektrum, Sehstärke, Gehör sowie die Fähigkeit der Selbstwahrnehmung anbelangen und vieles mehr. Wir, das „Modell“ können darüber reden, dass wir möglicherweise eine Simulation sind, das Entscheidende dabei ist jedoch, dass wir diese nicht erkennen können, denn unser Selbstbild ist die Simulation selbst! Ein Zugang zu diesem Wissen wurde in der Simulation nicht angelegt. Die Simulation würde sonst auch schlichtweg keinen Sinn ergeben. Wir werden die absolute Wahrheit also nie erfahren, da uns der richtige Zugang fehlt? In etwa so, wie wenn man versucht einer Ratte das Lesen beizubringen. Was können wir überhaupt noch wissen? Gehen wir wirklich durch einen Tunnel, einen „Ego-Tunnel“, der uns durch unser subjektives Empfinden von der Wahrheit abtrennt? [2]
Zur Untermalung eignet sich das Beispiel des Sehens sehr gut, denn mit unserem Gesehenen verbinden wir häufig unsere Realität. Wie sicher können wir uns sein, dass unsere Welt tatsächlich so aussieht wie sie ist? Wenn man sich die Funktionsweise des Auges und das Zusammenspiel des Lichtes genauer betrachtet, wird schnell klar, dass wir das, was die absolute wahre Form dessen ist, was uns umgibt, nicht wirklich sehen können. Licht gehört zur Familie der elektromagnetischen Wellen und ermöglicht es uns zu sehen. Wenn diese Wellen auf einen Gegenstand treffen, werden sie von den Atomen des Gegenstandes entweder absorbiert oder „abgestoßen“. Wenn wir das Beispiel meiner Tastatur nehmen, könnte man sagen, dass das Licht auf das Oberflächenmaterial der Tastatur auftrifft und dort von den befindlichen Atomen entweder absorbiert oder reflektiert wird. Das hat zur Folge, dass nur bestimmte Wellenlängen zurück geworfen werden. Diese treffen nun mit unterschiedlichen Einfallswinkeln auf die Netzhaut meines Augen, welches die Informationen an das Gehirn weiterleitet. Nun kann mein Gehirn verarbeiten wie groß, welche Farbe und in welcher Entfernung sich meine Tastatur befindet. Dass meine Tastatur schwarz ist, ist also nicht die Eigenschaft der Tastatur, welche aus Atomen besteht und auf die Strahlung reagiert. Viel eher ist es die menschliche subjektive Empfindung, die vom Gehirn auf komplexe Art und Weise konstruiert wird! Das Gehirn erzeugt kontinuierliche eine Welt, dieses Bild ist so perfekt, dass wir es nicht als Bild in unserm Kopf wahrnehmen.
Während der, für den Menschen sichtbare Bereich der elektromagnetischen Wellen relativ begrenzt ist, gibt es nebenbei bemerkt Tiere die sogar Ultraviolette oder Infrarotstrahlung sehen können und damit eine ganz andere Realität wahrnehmen als Menschen, jedoch wohl bemerkt auf der gleichen Erde leben! Diese Strahlungsarten unterscheiden sich durch die Frequenz und ihre Wellenlänge. Wir bemerken also, dass unsere wahrgenommene Realität, zumindest was die äußere Welt betrifft, eine Konstruktionsleistung unseres Gehirns ist und man nicht voreilig auf den Wahrheitsgehalt des Gesehenen schließen kann, sondern eher auf eine subjektive Empfindung.
Unser Gehirn konstruiert also die Welt, die uns umgibt, doch es ist noch zu weit mehr fähig. Unser Gesehenes kann nämlich auch vor dem „inneren Auge“ nochmals betrachtet werden. Dafür hält das Gehirn wirklich gesehene Bilder im Gedächtnis fest, welche es sogar mit anderen Erinnerungen kombinieren kann und zu beliebiger Zeit wieder hervorbringen kann. Dafür wird die Außenwelt zum Betrachten gar nicht benötigt. [3]
Ähnliches spielt sich auch während einem Traum ab. Auch hier kann man plötzlich sehen, obwohl die Augen geschlossen sind. Man wird Zeuge, wie gnadenlos uns das subjektive Empfinden einer Identität hinters Licht führt. Wir befinden uns plötzlich in einer Traumwelt und doch fühlt sich, was auch immer im Traum geschieht, wie eine reale Situation an. Selbst das Fliegen, kann uns in solchen Momenten als völlig real und vor allem logisch erscheinen. Erst der Vergleich nach dem Aufwachen zeigt uns unsere Realität. Wo bleibt da unser „Ich“. Wer sagt, dass unsere Realität in gewisser Weise nicht auch ein Traum eine Illusion ist?
Wie nehmen wir unser Innenleben wahr? Unseren Verstand? Woher kommen meine Denkmuster? Nur als Beispiel: entscheiden wir uns wirklich für jeden Gedanken, der in unserm Kopf herumschwirrt? Schließlich sagt mir diese Stimme im Kopf in regelmäßigen Abständen, dass ich sie bin! Ich sollte also das Recht haben über diese Gedanken frei zu entscheiden. Ich denke das Beispiel vom rosa Elefanten sollte euch geläufig sein. Bitte denkt in diesem Moment mal nicht an einen rosa Elefanten! Tadaaah! Schon ist er da …
Wir wissen also, dass unser Gehirn und unsere Nervenzellen eine große Rolle dabei spielen, wie wir Dinge bewusst wahrnehmen. Wir wissen jedoch auch, dass wir sehr vieles nicht wissen. Die Spalte zwischen neuronalen Prozessen und einem Denker ist groß, denn denken unsere Hirnzellen? Eher nicht. An dieser Stelle sollte man vielleicht anmerken, dass eine Seele, die immateriell ist, immer noch logisch erklärbar wäre. Man müsste diese nur ausfindig machen. Bisher zeigen sich aus Sicht der Neurowissenschaften jedoch keinerlei Anzeichen dafür. Aber: Die Sonne drehte sich auch mal um die Erde. Ach Quatsch, die Erde war eine Scheibe!
Wie sieht es aus mit unserer Willensfreiheit? Kann ich denken was ich will?
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Quellen:
[1] Marsiske, Hans-Arthur: Ferngelenkte Nager: Ratten werden zu Robotern,
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/ferngelenkte-nager-ratten-werden-zu-robotern-a-194308.html (Version vom 15.07.2014)
[2] Thomas Metzinger: Der Ego Tunnel, Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik, Bloomsbury Verlag GmbH, Berlin, 2009
[3] Pawlak, Björn: Das Auge – Warum können wir Dinge sehen?, Der menschliche Körper – Teil 5, http://www.helles-koepfchen.de/artikel/2984.html (Version vom 15.07.2014)